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Rückkehr ins Ungewisse: Inlandsvertriebene im Libanon kehren zurück

14:36
 
Bagikan
 

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Am frühen Mittwochmorgen trat die Waffenruhe zwischen Israel und dem Libanon in Kraft. Schon in den frühen Morgenstunden hatten die Vertriebenen ihre Autos mit Taschen, Rucksäcken, Decken und Matratzen bepackt, um in ihre Dörfer zurückzukehren. Noch vor 4.00 Uhr – dem offiziellen Beginn der Waffenruhe – verwandelten sich die Straßen Beiruts in einen großen Stau mit Tausenden von Fahrzeugen. Eine Autoschlange zog sich über die Berge in Richtung Beeka Ebene. Die anderen brachen in Richtung Süden auf und schlängelten sich durch die verwüsteten Straßen der südlichen Vororte Dakhieh, vorbei an zertrümmerten Wohnhäusern und Brücken. Von Karin Leukefeld.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Während die Bewohner von Burj al-Brajneh, Haret Hreik und den anderen von israelischen Raketen schwer verwüsteten südlichen Vororten Hisbollahfahnen auf den Trümmerbergen hissten, wurden über Fernsehkanäle und soziale Medien Fotos und Filmaufnahmen verbreitet, die entlang der Küstenstraße eine dichte Autoschlange zeigten, die sich in Richtung der südlibanesischen Hafenstadt Sidon wälzte. Von dort fuhren die Fahrzeuge im Schritttempo weiter südlich nach Tyrus. Die historische Hafenstadt war in den letzten zwei Monaten nahezu täglich von israelischen Raketen bombardiert worden.

Nach und nach wurde die Autoschlange gen Süden lichter, da viele Familien von der Küstenstraße in die Berge oberhalb von Sidon abbogen, um in ihren Heimatdörfern in der Provinz Nabatieh ihre Häuser und Wohnungen wieder in Besitz zu nehmen. Fahnen der Hisbollah und der Amal-Bewegung wurden aus Fenstern und Schiebedächern geschwenkt, aus Autoradios und Lautsprechern waren Kampflieder zu hören. Zur Begrüßung der Rückkehrer schwenkten die zurückgebliebenen Überlebenden entlang der Straße Fahnen und zeigten Bilder von Hassan Nasrallah. Der langjährige Generalsekretär der Hisbollah war am 27. September 2024 bei einem massiven Luftangriff der israelischen Luftwaffe auf einen Straßenzug in Haret Hreik getötet worden.

Die Menschen feierten die Waffenruhe und ihre Rückkehr als Sieg. Die Spannung und Unsicherheit der vergangenen Monate wichen an diesem Tag einer großen Freude darüber, dass die Angriffe gestoppt waren. Zumindest vorerst scheint eine Lösung gefunden, die der Bevölkerung ermöglicht zurückzukehren, die Schäden zu begutachten und mit dem Wiederaufbau zu beginnen. Niemand macht sich Illusionen darüber, dass der Wiederaufbau leicht sein wird, denn die Zerstörungen sind sehr viel größer, als sie es nach dem Krieg 2006 waren, der einen Monat gedauert hatte. Iran hat bereits Hilfe für den Wiederaufbau zugesagt.

Bis auf die UN-Organisationen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz fehlten die vielen europäischen Nichtregierungsorganisationen völlig während der Kriegsmonate. Es sei „eine politische Sache“, erklärte ein Priester der Autorin, als sie die von seiner Gemeinde betriebene Suppenküche besuchte, die täglich 4.000 Mahlzeiten an mittellose Menschen abgibt. Die Suppenküche, die nach der Explosion im Hafen von Beirut 2021 eingerichtet wurde, erhält Geld aus der Stiftung eines der weltweit größten Containerunternehmen, das in den 1930er-Jahren von einem libanesischen Geschäftsmann gegründet worden war.

„Es ist ein Krieg zwischen Israel und der Hisbollah“, erklärte der Priester. Die westlichen NGOs kämen nicht, „weil es um Politik geht“. Mit anderen Worten: Es werden die vom Krieg vertriebenen Familien aus dem Südlibanon und aus den südlichen Vororten als Hisbollah-Unterstützer eingestuft und erhalten keine Unterstützung aus den westlichen Ländern, die an der Seite Israels stehen. Gesagt wird das natürlich nicht, sondern es wird – beispielsweise von der Bundesregierung – auf 60 Millionen Euro verwiesen, die an die UN-Organisationen im Libanon sowie an das IKRK und das libanesische Rote Kreuz für ausgewählte Hilfe übergeben wurden. Das Geld tröpfelt dann zu den Notunterkünften, wo die Aktiven der vielen libanesischen Hilfsorganisationen und Hilfskomitees sich bemühen, beispielsweise 500 Matratzen an 3.000 Inlandsvertriebene zu verteilen.

So dankbar die Inlandsvertriebenen sein mögen, der Waffenstillstand macht sie froh, der entwürdigenden Situation in den Notunterkünften entkommen zu können. Selbst wenn sie in einem beschädigten oder teilzerstörten Haus bleiben müssen, fühlen sie sich dort mehr aufgehoben als in der Unsicherheit von Notunterkünften.

Die zurückkehrenden Brüder Ali und Hamza Hassan schicken Fotos von ihrer Rückkehr an Freunde und Verwandte. Am ersten Tag der Waffenruhe waren ihre Familien zunächst zurückgeblieben, damit sie ihre Häuser im Heimatdorf untersuchen konnten. Die Schäden seien zum Glück gering, nun müsse ordentlich geputzt werden. Wichtig sei, dass sie alle gesund geblieben seien, so die Brüder. Es sei nicht zu einem innerlibanesischen Streit oder gar zu Kämpfen gekommen, zu denen Benjamin Netanjahu aufgerufen habe. Trotz der Angriffe, trotz vieler Toten und großer Verluste habe der Zusammenhalt der Libanesen sie alle gestärkt.

Der libanesische Parlamentssprecher Nabih Berri hatte am Mittwoch die Libanesen im In- und Ausland zur Rückkehr in ihre Heimat aufgerufen. Das Land sei „das Erbe der Märtyrer“, so Berri, der an Hassan Nasrallah erinnerte, der ihm „die Verantwortung des politischen Widerstandes“ anvertraut habe. Berri betonte die Einheit der Libanesen, die das Land vor weiteren Angriffen schützen müsse. „Auch wenn Ihr zwischen Trümmern leben müsst, kehrt zurück auf das Land, dass der Widerstand erhalten hat“, so Berri. Er kündigte an, dass das Parlament am 9. Januar 2025 einen neuen Präsidenten wählen solle, um die Einheit des Libanon zu stärken.

Rückkehr ins Ungewisse

Die US-Administration und Frankreich haben die Vereinbarung zwischen Libanon und Israel ausgehandelt. Offiziell handelt es sich um eine Waffenruhe, nicht um einen Waffenstillstand. Die Waffenruhe wurde zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah vereinbart, die bei den offiziellen Verhandlungen von Parlamentspräsident Nabih Berri vertreten wurde. Berri ist Vorsitzender der Amal-Bewegung, die an der Seite der Hisbollah im Südlibanon einen israelischen Einmarsch stoppen konnte. Details der Vereinbarung sind nicht vollständig bekannt, die Waffenruhe soll 60 Tage gelten. In dieser Zeit soll die israelische Armee ihre Truppen aus dem Süden Libanons abgezogen haben. Die Hisbollah soll ihre schweren Waffen aus dem Süden in den Norden verlagern, hinter den Litani. Der Fluss liegt rund 30 Kilometer von der „Blauen Linie“ entfernt, der Waffenstillstandslinie zwischen Israel und Libanon. Die libanesische Armee soll entlang der „Blauen Linie“ stationiert werden und gemeinsam mit der UN-Friedensmission für Libanon (UNIFIL) den Abzug überwachen.

Da die libanesische Armee militärisch außerordentlich schwach ist, soll sie von einem Kommando aus US-amerikanischen und französischen Truppen „unterstützt“ werden. Unklar ist noch, wie diese Unterstützung organisiert werden soll. Unklar ist auch, wie viele libanesische Soldaten und wie viele US-amerikanische und französische Soldaten eingesetzt werden sollen. Eine beabsichtigte Teilnahme von Großbritannien und Deutschland an diesem Kommando wird es nicht geben, die Hisbollah hatte das abgelehnt.

Israel behauptet, das Recht zu haben, den Libanon anzugreifen, sollte Hisbollah sich nicht an die Vereinbarung halten. Unter Verweis auf die libanesische staatliche Souveränität hat der Libanon einer solchen Vereinbarung allerdings nicht zugestimmt. Israelischen und US-amerikanischen Berichten zufolge soll Israel von der Biden-Administration und auch vom Pentagon die Zusage für einseitiges militärisches Eingreifen erhalten haben. Das bedeutet, dass die gesamte Vereinbarung über eine Waffenruhe sehr fragil ist.

Kriege an sieben Fronten

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte der Vereinbarung zugestimmt. Libanesische Medien berichten, dass Netanjahu unter dem Druck der Armee schon vor Wochen die US-Administration um Vermittlung für eine Waffenruhe gebeten haben soll. In einer Rede an die Bürger Israels am Dienstagabend – vor Inkrafttreten des Waffenstillstandes – erklärte Netanjahu, er habe den Sieg versprochen und man werde den Sieg erreichen. Man werde „die Hisbollah auslöschen“ und dafür sorgen, dass alle Bewohner des Nordens zurückkehren könnten. An sieben Fronten sei Israel erfolgreich (auf gegnerischen Boden) eingedrungen, erklärte Netanjahu und nannte den Krieg in Gaza, im Westjordanland, Jemen, Irak, Syrien, Libanon und Iran. Diese militärischen „Errungenschaften“ lösten „weltweit Ehrfurcht und Bewunderung aus und verleihen Israel im gesamten Nahen Osten eine starke Ausstrahlung“, so Netanjahu.

Wichtig sei, dass Israel sich mit der Zustimmung der USA „die vollständige Freiheit für militärische Operationen gegen die Hisbollah“ gesichert habe, fuhr Netanjahu fort. Der Waffenstillstand zum jetzigen Zeitpunkt habe drei Gründe: Israel werde sich auf den Iran konzentrieren und verhindern, dass dieser Atomwaffen erhalte, so Netanjahu. Das sei für ihn „die wichtigste Aufgabe, um die Existenz und die Zukunft des Staates Israel zu sichern“. Der Waffenstillstand ermögliche der Armee eine Erholungsphase und die Aufstockung der Waffen- und Munitionslager. Drittens werde man die Hamas isolieren.

Was Netanjahu in seiner Kriegsrede nicht erwähnte, war, dass die USA offenbar erheblichen Druck auf ihn ausgeübt hatten. Unbestätigten Berichten zufolge habe Washington gegenüber Tel Aviv angedeutet, Israel wegen der offensichtlichen Massaker, Angriffe auf Zivilbevölkerung und zivile Infrastruktur und nicht zuletzt wegen der Haftbefehle des Internationalen Gerichtshofs gegen Netanjahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant im UN-Sicherheitsrat nicht länger schützen zu können. Das wiederum hätte zur Anwendung von Strafmaßnahmen gemäß Kapitel VII der UN-Charta gegen Israel geführt.

Im Libanon haben die israelischen Streitkräfte in den zwei Monaten gezielter und massiver Angriffe ihr Ziel – die Vernichtung der Hisbollah – nicht erreicht. Zwar hat die Organisation – und mit ihr die Zivilbevölkerung – schwere Schläge einstecken müssen und die Zerstörung durch die israelischen Angriffe ist enorm, aber die Hisbollah ist nicht vernichtet. Sie hat obendrein einen Einmarsch der israelischen Truppen und die Besetzung von libanesischem Territorium verhindert. Israel konnte zerstören, aber keinen Ort militärisch halten. Keine der großen Städte Khiam, Bint Jbeil oder Naqura wurde von israelischen Truppen eingenommen.

Frieden ist nicht in Sicht

Vielleicht bedeutet es eine Ruhepause, aber Frieden ist nicht in Sicht. Nicht nur die USA, die NATO und westliche Staaten unterstützen Israel bei seinem kriegerischen Vorgehen, auch die israelische Bevölkerung begrüßt mehrheitlich die Kriege. Die Siedlerverbände aus dem Norden Israels sprechen von einer falschen Entscheidung und lehnen die Waffenruhe ab. Sie sagen, nur die Vernichtung der Hisbollah werde ihnen Sicherheit bringen. Im Kabinett werden die Siedler von Itamar Ben-Gvir vertreten, dem Minister für Nationale Sicherheit. Er steht an der Seite der rechtsextremen Siedlerbewegung und bezeichnete den Waffenstillstand als „historischen Fehler“. Als Einziger des Kriegskabinetts stimmte Ben-Gvir gegen die Entscheidung. Wie schlecht es um die angeblich „einzige Demokratie“ in der Region bestellt ist, zeigt auch die Verhängung von Sanktionen gegen die Tageszeitung Haaretz. Die Zeitung hat zahlreiche Kriegsverbrechen der israelischen Armee aufgedeckt. Ihre Bestrafung mit Sanktionen durch die israelische Regierung zeigt, dass die wenigen Oppositionellen in Israel immer mehr unter Druck geraten.

Die Lage bleibt fragil, regionale Grundfragen bleiben ungelöst. Die Zerstörungen im Libanon sind groß. Es wird lange dauern und viel kosten, die Häuser und Dörfer wieder aufzubauen. Die israelische Armee setzte zudem Streubomben und Weißen Phosphor ein und machte so landwirtschaftliche Gebiete im Süden des Landes unbewohnbar. Die Frage bleibt, was nach 60 Tagen Waffenruhe geschehen wird. Dann wird Donald Trump US-Präsident sein und der Politik in der Region einen neuen Stempel aufdrücken. Netanjahu wird vermutlich noch immer im Amt sein. Die USA haben weitere Waffen und Truppenverbände in die Region verlegt. Das gilt auch für Syrien, das seit Jahren unter schweren wirtschaftlichen Sanktionen von USA und EU leidet. An dem Tag, an dem die Waffenruhe im Libanon begann, starteten bewaffnete Kampfverbände des Al-Qaida-Ablegers Hay’at Tahrir al Scham von der nordwestlichen Provinz Idlib aus einen Angriff auf die Orte Nubl und Zahra, die westlich von Aleppo liegen.

Die Gesamtsituation in der Region steuert weiter am Rande eines großen Krieges entlang. Der Vernichtungskrieg gegen Gaza geht ununterbrochen weiter. Am Mittwoch und Donnerstag wurden erneut Dutzende Palästinenser vor allem im Norden des Gazastreifens, aber auch in Gaza Stadt und im Süden bei israelischen Angriffen getötet. Im Flüchtlingslager Nuseirat kamen neun Mitglieder einer Familie ums Leben, als ihr Haus von Israel zerstört wurde. Die Zahl der Toten (seit 7. Oktober 2023) stieg offiziellen palästinensischen Angaben zufolge auf 44.282, während mindestens 10.000 unter Trümmern nicht geborgen werden können. Die Zahl der Verletzten wird mit 104.880 angegeben.

Titelbild: Ali Chehade Farhat/shutterstock.com

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Am frühen Mittwochmorgen trat die Waffenruhe zwischen Israel und dem Libanon in Kraft. Schon in den frühen Morgenstunden hatten die Vertriebenen ihre Autos mit Taschen, Rucksäcken, Decken und Matratzen bepackt, um in ihre Dörfer zurückzukehren. Noch vor 4.00 Uhr – dem offiziellen Beginn der Waffenruhe – verwandelten sich die Straßen Beiruts in einen großen Stau mit Tausenden von Fahrzeugen. Eine Autoschlange zog sich über die Berge in Richtung Beeka Ebene. Die anderen brachen in Richtung Süden auf und schlängelten sich durch die verwüsteten Straßen der südlichen Vororte Dakhieh, vorbei an zertrümmerten Wohnhäusern und Brücken. Von Karin Leukefeld.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Während die Bewohner von Burj al-Brajneh, Haret Hreik und den anderen von israelischen Raketen schwer verwüsteten südlichen Vororten Hisbollahfahnen auf den Trümmerbergen hissten, wurden über Fernsehkanäle und soziale Medien Fotos und Filmaufnahmen verbreitet, die entlang der Küstenstraße eine dichte Autoschlange zeigten, die sich in Richtung der südlibanesischen Hafenstadt Sidon wälzte. Von dort fuhren die Fahrzeuge im Schritttempo weiter südlich nach Tyrus. Die historische Hafenstadt war in den letzten zwei Monaten nahezu täglich von israelischen Raketen bombardiert worden.

Nach und nach wurde die Autoschlange gen Süden lichter, da viele Familien von der Küstenstraße in die Berge oberhalb von Sidon abbogen, um in ihren Heimatdörfern in der Provinz Nabatieh ihre Häuser und Wohnungen wieder in Besitz zu nehmen. Fahnen der Hisbollah und der Amal-Bewegung wurden aus Fenstern und Schiebedächern geschwenkt, aus Autoradios und Lautsprechern waren Kampflieder zu hören. Zur Begrüßung der Rückkehrer schwenkten die zurückgebliebenen Überlebenden entlang der Straße Fahnen und zeigten Bilder von Hassan Nasrallah. Der langjährige Generalsekretär der Hisbollah war am 27. September 2024 bei einem massiven Luftangriff der israelischen Luftwaffe auf einen Straßenzug in Haret Hreik getötet worden.

Die Menschen feierten die Waffenruhe und ihre Rückkehr als Sieg. Die Spannung und Unsicherheit der vergangenen Monate wichen an diesem Tag einer großen Freude darüber, dass die Angriffe gestoppt waren. Zumindest vorerst scheint eine Lösung gefunden, die der Bevölkerung ermöglicht zurückzukehren, die Schäden zu begutachten und mit dem Wiederaufbau zu beginnen. Niemand macht sich Illusionen darüber, dass der Wiederaufbau leicht sein wird, denn die Zerstörungen sind sehr viel größer, als sie es nach dem Krieg 2006 waren, der einen Monat gedauert hatte. Iran hat bereits Hilfe für den Wiederaufbau zugesagt.

Bis auf die UN-Organisationen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz fehlten die vielen europäischen Nichtregierungsorganisationen völlig während der Kriegsmonate. Es sei „eine politische Sache“, erklärte ein Priester der Autorin, als sie die von seiner Gemeinde betriebene Suppenküche besuchte, die täglich 4.000 Mahlzeiten an mittellose Menschen abgibt. Die Suppenküche, die nach der Explosion im Hafen von Beirut 2021 eingerichtet wurde, erhält Geld aus der Stiftung eines der weltweit größten Containerunternehmen, das in den 1930er-Jahren von einem libanesischen Geschäftsmann gegründet worden war.

„Es ist ein Krieg zwischen Israel und der Hisbollah“, erklärte der Priester. Die westlichen NGOs kämen nicht, „weil es um Politik geht“. Mit anderen Worten: Es werden die vom Krieg vertriebenen Familien aus dem Südlibanon und aus den südlichen Vororten als Hisbollah-Unterstützer eingestuft und erhalten keine Unterstützung aus den westlichen Ländern, die an der Seite Israels stehen. Gesagt wird das natürlich nicht, sondern es wird – beispielsweise von der Bundesregierung – auf 60 Millionen Euro verwiesen, die an die UN-Organisationen im Libanon sowie an das IKRK und das libanesische Rote Kreuz für ausgewählte Hilfe übergeben wurden. Das Geld tröpfelt dann zu den Notunterkünften, wo die Aktiven der vielen libanesischen Hilfsorganisationen und Hilfskomitees sich bemühen, beispielsweise 500 Matratzen an 3.000 Inlandsvertriebene zu verteilen.

So dankbar die Inlandsvertriebenen sein mögen, der Waffenstillstand macht sie froh, der entwürdigenden Situation in den Notunterkünften entkommen zu können. Selbst wenn sie in einem beschädigten oder teilzerstörten Haus bleiben müssen, fühlen sie sich dort mehr aufgehoben als in der Unsicherheit von Notunterkünften.

Die zurückkehrenden Brüder Ali und Hamza Hassan schicken Fotos von ihrer Rückkehr an Freunde und Verwandte. Am ersten Tag der Waffenruhe waren ihre Familien zunächst zurückgeblieben, damit sie ihre Häuser im Heimatdorf untersuchen konnten. Die Schäden seien zum Glück gering, nun müsse ordentlich geputzt werden. Wichtig sei, dass sie alle gesund geblieben seien, so die Brüder. Es sei nicht zu einem innerlibanesischen Streit oder gar zu Kämpfen gekommen, zu denen Benjamin Netanjahu aufgerufen habe. Trotz der Angriffe, trotz vieler Toten und großer Verluste habe der Zusammenhalt der Libanesen sie alle gestärkt.

Der libanesische Parlamentssprecher Nabih Berri hatte am Mittwoch die Libanesen im In- und Ausland zur Rückkehr in ihre Heimat aufgerufen. Das Land sei „das Erbe der Märtyrer“, so Berri, der an Hassan Nasrallah erinnerte, der ihm „die Verantwortung des politischen Widerstandes“ anvertraut habe. Berri betonte die Einheit der Libanesen, die das Land vor weiteren Angriffen schützen müsse. „Auch wenn Ihr zwischen Trümmern leben müsst, kehrt zurück auf das Land, dass der Widerstand erhalten hat“, so Berri. Er kündigte an, dass das Parlament am 9. Januar 2025 einen neuen Präsidenten wählen solle, um die Einheit des Libanon zu stärken.

Rückkehr ins Ungewisse

Die US-Administration und Frankreich haben die Vereinbarung zwischen Libanon und Israel ausgehandelt. Offiziell handelt es sich um eine Waffenruhe, nicht um einen Waffenstillstand. Die Waffenruhe wurde zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah vereinbart, die bei den offiziellen Verhandlungen von Parlamentspräsident Nabih Berri vertreten wurde. Berri ist Vorsitzender der Amal-Bewegung, die an der Seite der Hisbollah im Südlibanon einen israelischen Einmarsch stoppen konnte. Details der Vereinbarung sind nicht vollständig bekannt, die Waffenruhe soll 60 Tage gelten. In dieser Zeit soll die israelische Armee ihre Truppen aus dem Süden Libanons abgezogen haben. Die Hisbollah soll ihre schweren Waffen aus dem Süden in den Norden verlagern, hinter den Litani. Der Fluss liegt rund 30 Kilometer von der „Blauen Linie“ entfernt, der Waffenstillstandslinie zwischen Israel und Libanon. Die libanesische Armee soll entlang der „Blauen Linie“ stationiert werden und gemeinsam mit der UN-Friedensmission für Libanon (UNIFIL) den Abzug überwachen.

Da die libanesische Armee militärisch außerordentlich schwach ist, soll sie von einem Kommando aus US-amerikanischen und französischen Truppen „unterstützt“ werden. Unklar ist noch, wie diese Unterstützung organisiert werden soll. Unklar ist auch, wie viele libanesische Soldaten und wie viele US-amerikanische und französische Soldaten eingesetzt werden sollen. Eine beabsichtigte Teilnahme von Großbritannien und Deutschland an diesem Kommando wird es nicht geben, die Hisbollah hatte das abgelehnt.

Israel behauptet, das Recht zu haben, den Libanon anzugreifen, sollte Hisbollah sich nicht an die Vereinbarung halten. Unter Verweis auf die libanesische staatliche Souveränität hat der Libanon einer solchen Vereinbarung allerdings nicht zugestimmt. Israelischen und US-amerikanischen Berichten zufolge soll Israel von der Biden-Administration und auch vom Pentagon die Zusage für einseitiges militärisches Eingreifen erhalten haben. Das bedeutet, dass die gesamte Vereinbarung über eine Waffenruhe sehr fragil ist.

Kriege an sieben Fronten

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte der Vereinbarung zugestimmt. Libanesische Medien berichten, dass Netanjahu unter dem Druck der Armee schon vor Wochen die US-Administration um Vermittlung für eine Waffenruhe gebeten haben soll. In einer Rede an die Bürger Israels am Dienstagabend – vor Inkrafttreten des Waffenstillstandes – erklärte Netanjahu, er habe den Sieg versprochen und man werde den Sieg erreichen. Man werde „die Hisbollah auslöschen“ und dafür sorgen, dass alle Bewohner des Nordens zurückkehren könnten. An sieben Fronten sei Israel erfolgreich (auf gegnerischen Boden) eingedrungen, erklärte Netanjahu und nannte den Krieg in Gaza, im Westjordanland, Jemen, Irak, Syrien, Libanon und Iran. Diese militärischen „Errungenschaften“ lösten „weltweit Ehrfurcht und Bewunderung aus und verleihen Israel im gesamten Nahen Osten eine starke Ausstrahlung“, so Netanjahu.

Wichtig sei, dass Israel sich mit der Zustimmung der USA „die vollständige Freiheit für militärische Operationen gegen die Hisbollah“ gesichert habe, fuhr Netanjahu fort. Der Waffenstillstand zum jetzigen Zeitpunkt habe drei Gründe: Israel werde sich auf den Iran konzentrieren und verhindern, dass dieser Atomwaffen erhalte, so Netanjahu. Das sei für ihn „die wichtigste Aufgabe, um die Existenz und die Zukunft des Staates Israel zu sichern“. Der Waffenstillstand ermögliche der Armee eine Erholungsphase und die Aufstockung der Waffen- und Munitionslager. Drittens werde man die Hamas isolieren.

Was Netanjahu in seiner Kriegsrede nicht erwähnte, war, dass die USA offenbar erheblichen Druck auf ihn ausgeübt hatten. Unbestätigten Berichten zufolge habe Washington gegenüber Tel Aviv angedeutet, Israel wegen der offensichtlichen Massaker, Angriffe auf Zivilbevölkerung und zivile Infrastruktur und nicht zuletzt wegen der Haftbefehle des Internationalen Gerichtshofs gegen Netanjahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant im UN-Sicherheitsrat nicht länger schützen zu können. Das wiederum hätte zur Anwendung von Strafmaßnahmen gemäß Kapitel VII der UN-Charta gegen Israel geführt.

Im Libanon haben die israelischen Streitkräfte in den zwei Monaten gezielter und massiver Angriffe ihr Ziel – die Vernichtung der Hisbollah – nicht erreicht. Zwar hat die Organisation – und mit ihr die Zivilbevölkerung – schwere Schläge einstecken müssen und die Zerstörung durch die israelischen Angriffe ist enorm, aber die Hisbollah ist nicht vernichtet. Sie hat obendrein einen Einmarsch der israelischen Truppen und die Besetzung von libanesischem Territorium verhindert. Israel konnte zerstören, aber keinen Ort militärisch halten. Keine der großen Städte Khiam, Bint Jbeil oder Naqura wurde von israelischen Truppen eingenommen.

Frieden ist nicht in Sicht

Vielleicht bedeutet es eine Ruhepause, aber Frieden ist nicht in Sicht. Nicht nur die USA, die NATO und westliche Staaten unterstützen Israel bei seinem kriegerischen Vorgehen, auch die israelische Bevölkerung begrüßt mehrheitlich die Kriege. Die Siedlerverbände aus dem Norden Israels sprechen von einer falschen Entscheidung und lehnen die Waffenruhe ab. Sie sagen, nur die Vernichtung der Hisbollah werde ihnen Sicherheit bringen. Im Kabinett werden die Siedler von Itamar Ben-Gvir vertreten, dem Minister für Nationale Sicherheit. Er steht an der Seite der rechtsextremen Siedlerbewegung und bezeichnete den Waffenstillstand als „historischen Fehler“. Als Einziger des Kriegskabinetts stimmte Ben-Gvir gegen die Entscheidung. Wie schlecht es um die angeblich „einzige Demokratie“ in der Region bestellt ist, zeigt auch die Verhängung von Sanktionen gegen die Tageszeitung Haaretz. Die Zeitung hat zahlreiche Kriegsverbrechen der israelischen Armee aufgedeckt. Ihre Bestrafung mit Sanktionen durch die israelische Regierung zeigt, dass die wenigen Oppositionellen in Israel immer mehr unter Druck geraten.

Die Lage bleibt fragil, regionale Grundfragen bleiben ungelöst. Die Zerstörungen im Libanon sind groß. Es wird lange dauern und viel kosten, die Häuser und Dörfer wieder aufzubauen. Die israelische Armee setzte zudem Streubomben und Weißen Phosphor ein und machte so landwirtschaftliche Gebiete im Süden des Landes unbewohnbar. Die Frage bleibt, was nach 60 Tagen Waffenruhe geschehen wird. Dann wird Donald Trump US-Präsident sein und der Politik in der Region einen neuen Stempel aufdrücken. Netanjahu wird vermutlich noch immer im Amt sein. Die USA haben weitere Waffen und Truppenverbände in die Region verlegt. Das gilt auch für Syrien, das seit Jahren unter schweren wirtschaftlichen Sanktionen von USA und EU leidet. An dem Tag, an dem die Waffenruhe im Libanon begann, starteten bewaffnete Kampfverbände des Al-Qaida-Ablegers Hay’at Tahrir al Scham von der nordwestlichen Provinz Idlib aus einen Angriff auf die Orte Nubl und Zahra, die westlich von Aleppo liegen.

Die Gesamtsituation in der Region steuert weiter am Rande eines großen Krieges entlang. Der Vernichtungskrieg gegen Gaza geht ununterbrochen weiter. Am Mittwoch und Donnerstag wurden erneut Dutzende Palästinenser vor allem im Norden des Gazastreifens, aber auch in Gaza Stadt und im Süden bei israelischen Angriffen getötet. Im Flüchtlingslager Nuseirat kamen neun Mitglieder einer Familie ums Leben, als ihr Haus von Israel zerstört wurde. Die Zahl der Toten (seit 7. Oktober 2023) stieg offiziellen palästinensischen Angaben zufolge auf 44.282, während mindestens 10.000 unter Trümmern nicht geborgen werden können. Die Zahl der Verletzten wird mit 104.880 angegeben.

Titelbild: Ali Chehade Farhat/shutterstock.com

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